Nu LatAm

Dschungel-Rituale in digitalen Schaltkreisen

Es sieht schon ein wenig schräg aus: Die beiden jungen Männer tragen den traditionellen Kopf- und Halsschmuck ihrer südamerikanischen Heimat, während sie mit den typischen Gesten von Rappern herumfuchteln. Es hört sich zunächst auch ein wenig schräg an, denn der Sprechgesang, den sie über gutgelaunten Hip-Hop- und Reggaeton-Beats entfalten, ist in Emberá verfasst. Das ist die Sprache verschiedener indigener Stämme aus Panama und Kolumbien. In den Texten von Linaje Originarios, wie sich die beiden nennen, geht es nicht darum, einen auf dicke Hose zu machen, wie es in den genannten Genres oft der Fall ist. Ganz im Gegenteil: Es geht ums friedliche Zusammenleben, um die Umwelt und den Respekt vor Mutter Natur. Es geht um die Erhaltung einer Kultur und einer Identität, die auf diesen Prinzipien aufgebaut sind. Und dies geschieht wiederum durch die Erhaltung der Sprache dieser Kultur. Mit diesem Ansatz sind die beiden jungen Kolumbianer ein gutes, wenn auch sehr spezielles und eher unbekanntes Beispiel für eine musikalische Bewegung, in der gewissermaßen eine Versöhnung zwischen der alten und der neuen Welt stattfindet: den Nu LatAm Sound, den neuen Sound Lateinamerikas.

Geprägt wurde jener Begriff vom argentinischen Label ZZK Records, das 2006 im Umfeld der Partyreihe Zizek Club in Buenos Aires gegründet wurde. Auf jenen Veranstaltungen stellte sich heraus, dass die magische Zugkraft traditioneller südamerikanischer Rhythmen sich wunderbar mit
der synthetisch-außerirdischen Klangwelt digitaler Musikproduktion verbinden lässt. Das daraus abgeleitete Schlagwort lautete
Digital Cumbia. Wer dabei an den bekannten typischen Kirmes-­Sound zum Mitgrölen denkt, der sich in Süd­amerika sehr großer Beliebtheit erfreut, liegt damit allerdings falsch.

Digital Cumbia ist deep, trippig und musikalisch sehr anspruchsvoll. Das beste Beispiel hierfür ist der argentinische Künstler Chancha Via
Circuito,
dessen 2010 erschienenes Album Rio Arriba einen zeitlosen, immer wieder hörenswerten Meilenstein in Sachen Nu-LatAm-Sound darstellt. Satte, digitale Bässe mischen sich mit dem hölzernen Klappern traditioneller Perkussion, ätherische Gesänge und Flötenklänge schweben durchs Stereopanorama, von Hand gespielte Instrumente des lateinamerikanischen Kontinents treffen auf computergenerierte Harmonie.

Es ist ein organischer, trippiger Sound, in dem der mystische Geist der Anden durch die elektronischen Schaltkreise moderner Klangerzeuger fließt. Der verträumte Gesang und die meditativen Instrumentierungen von Lulacruza sind dafür ebenfalls ein gutes Beispiel.

Parallel dazu gibt es aber auch recht wilde, eher auf partyorientierten Kontrollverlust zugeschnittene Ausformungen des Nu LatAm Sounds – zum Beispiel das schwarzlichtaktive Delirium, welches die Frikstailers gerne mal auf der Bühne und in ihren Musikvideos veranstalten.

«Es hat viel mit dem Erwachen der Seele zu tun, und wie es sich für mich in der Musik widerspiegelt. Auf dem Album finden sich Songs, die viel mit Ritual zu tun haben» sagt Nicola Cruz – und spricht dabei über sein 2015 veröffentlichtes Werk Prender El Alma. Nachdem sich der Ecuadorianer bereits viele Jahre als DJ und Percussionist in der Clubszene von Quito austobte, kombiniert er jene musikalischen Erfahrungen nun mit den traditionellen Rhythmen und Klängen seiner Heimat. Damit ist er auch außerhalb Südamerikas sehr erfolgreich.

Sein Landsmann Mateo Kingman spürte den Einfluss, den der Dschungel auf seine Entwicklung hatte, erst, als er in die große Stadt zog. Der Ecuadorianer wuchs im entlegenen Bundesstaat Amazonia auf, in engem Kontakt mit der unberührten Natur jenes Ortes sowie mit dem indigenen Volk der Shuar und seinen Ritualen. «Die Curanderos, die Heiler, sind begnadete Musiker – und Sänger der spirituellsten Chants, den Chants, die mit Heilung zu tun haben. Das hat mich stark […]

Roberdo Raval

Den ganzen Artikel kannst du im Magazin Lucy’s Rausch Nr. 5 lesen. Hier bestellen.