Reise nach Oaxaca

XtraEine ethnologische Exkursion im Zeichen der Pilze

Pilz-Curandera María Sabina

Text: Michael Schlichting

Eigentlich war ich damals nach Mexiko aufgebrochen, um als Medizinstudent einige Wochen im dortigen Basisgesundheitsdienst zu arbeiten. Bei dieser Gelegenheit wollte ich auch die speziellen Probleme der Gesundheitsversorgung der indianischen Bevölkerung näher kennenlernen. Gleichzeitig interessierten mich nach einigen Semestern Ethnologie auch die Konzepte und Praktiken der traditionellen Heilkunde und insbesondere der Gebrauch gewisser »heiliger Pilze« im Rahmen von Heilzeremonien.

Auf das berühmte Buch über die Mazatekenheilerin María Sabina war ich eher zufällig gestoßen und wollte nun, fasziniert von den darin beschriebenen schamanischen Ritualen, die ganze Sache näher untersuchen, im Hinterkopf die Idee einer späteren wissenschaftlichen Veröffentlichung. Eigene Erfahrungen mit Halluzinogenen hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht; natürlich hatten wir in der Studentenzeit alle ein paarmal Haschisch geraucht, doch sonderlich aufregend war das eigentlich nie gewesen.

Den Kopf also voll von naiven Vorstellungen über ethnomedizinische »Feldforschung«, orientiert an westlich-biomedizinischen Paradigmen und geleitet vom Menschenbild der Aufklärung mit seinem damals von mir nicht hinterfragten Leib-Seele-Dualismus, traf ich auf dem Flughafen von Mexiko Stadt ein, im Gepäck eine Menge ethnologischer Fachliteratur und dazu Fotoapparat, Kassettenrekorder und ein leeres Notizbuch. Erst später lernte ich, daß man eine solche durch die Herkunftskultur konditionierte Wahrnehmung und Grundeinstellung »Ethnozentrismus« nennt.

Mexiko Stadt empfing mich völlig unromantisch als riesengroßer, unübersichtlicher und stinkender Moloch, doch fand ich bei Bekannten eine herzliche Aufnahme und einen idealen Stützpunkt für weitere Erkundungen. Zunächst einmal näherte ich mich, wie ich es gewohnt war, den mexikanischen Indianerkulturen recht akademisch, indem ich mehrere Male das einzigartige Nationalmuseum für Anthropologie besuchte und fleißig Aufzeichnungen anfertigte über die mich besonders interessierenden Ethnien der Mazateken, Huichol, Tzotzilen, Tzeltalen und Mixes. Mein Wunsch war es natürlich, selbst ein Indianergebiet zu bereisen, um weiteres wissenschaftliches Material zu sammeln, doch schien mir dieser Weg zunächst verbaut durch eine Unmenge bürokratischer Hürden und ein furchtbar umständliches Antragsverfahren für eine Forschungsarbeit in einem Indianergebiet.

Außerdem hatten seinerzeit die mexikanischen Behörden die gesamte Region Chiapas in Südmexiko wegen der Aktivitäten von Aufständischen und gleichzeitigen Grenzkonflikten mit Guatemala für Ausländer gesperrt, wie ich überhaupt feststellte, daß von staatlicher Seite der Kontakt von Ausländern mit der indianischen Bevölkerung, der über den Besuch folkloristischer Veranstaltungen hinausgeht, als eigentlich unerwünscht angesehen wurde.

Also suchte ich nach anderen Wegen und begegnete einem mexikanischen Arzt, Psychiater und Psychoanalytiker, der eine private Stiftung zur Unterstützung einer von ihm eingerichteten Basisgesundheitsstation in einem kleinen entlegenen Dorf im Gebiet der Mixe-Indianer in Oaxaca gegründet hatte. Gleichzeitig befaßte er sich seit langem mit den Methoden der mexikanischen Volksmedizin und insbesondere auch mit der Verwendung pflanzlicher Halluzinogene im Rahmen traditioneller Heilrituale: Dr. Salvador Roquet, eine überaus starke und beeindruckende Persönlichkeit, mit dem ich lange über seine Erfahrungen, Ideen und Visionen von einer modernen Psychotherapie diskutierte.

Sein Ziel war es, die in dianischen Konzeptionen und Rituale der Anwendung natürlicher Halluzinogene und die westlichen Methoden einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie miteinander zu verbinden. Durch seine persönlichen Kontakte zu zahlreichen indianischen Schamanen, in erster Linie natürlich María Sabina, entwickelte er eine eigene Therapieform, genannt »Psychosynthese«, die neben anderen Elementen auch die Anwendung der in Mexiko vorkommenden natürlichen Halluzinogene wie Peyote-Kaktus, psilocybinhaltige Pilze sowie verschiedene Datura-Arten umfaßte. Einzelheiten und Ergebnisse dieser (bis 1981 bereits an über 950 Patienten mit beachtlichen Erfolgen angewendeten) Behandlungsmethode beschrieb Roquet in seinem Buch Los Alucinógenos: De la concepción indígena a una nueva psicoterápia (1991).

Die Begegnung mit Salvador Roquet erwies sich für mich in Hinsicht als bedeutungsvoll und wegweisend für den weiteren Verlauf meiner Reise nach Oaxaca. Zunächst erhielt ich Gelegenheit, mich einer von Roquet geleiteten Gruppe anzuschließen, die in dem kleinen, abgelegenen Indianerdorf Santa María de Matamoros die dortige Gesundheitsstation besuchen und in dem Dorf eine Impfkampagne durchführen wollte. Der Ort mit etwa 600 Einwohnern, ohne Straßenverbindung, Stromversorgung und Kanalisation, war nur durch einen mehrstündigen Fußmarsch durch unwegsames Gelände zu erreichen. Hauptprobleme der dortigen, auch von der staatlichen Indianerverwaltung vernachlässigten Gesundheitsversorgung waren in erster Linie die ungünstigen hygienischen Verhältnisse, die zu einer hohen Rate von Infektionskrankheiten führten, wie z.B. Tuberkulose, Infektionen mit Würmern und anderen Parasiten sowie die bei uns als harmlose Kinderkrankheit bekannten, dort aber recht gefährlichen Masern. Eine rein medikamentös-kurativ ausgerichtete Medizin konnte natürlich den fatalen Kreislauf von unzureichender Wasser- und Abwasserversorgung mit fehlenden Latrinen und ständiger Reinfektion nicht durchbrechen, so daß Maßnahmen der Aufklärung über die ätiologischen Zusammenhänge verbunden mit einer Sanierung der hygienischen Einrichtungen und einer Verbesserung der Ernährungssituation die vorrangigen Ziele der privaten Hilfsorganisation von Salvador Roquet waren, ergänzt um die Impfkampagne, die allen Kindern des Ortes einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern, Tuberkulose, Diphtherie, Keuchhusten und Tetanus gewährleisten sollte.

Lucys Xtra

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