Schweben als Menschenrecht

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Wo ist der Boden, wo die Decke? Wo Halt suchen, wenn niemand ihn braucht? Beim Schweben in Oberluft und Unterwasser sind die Übergänge schwingend, fließend, der Horizont verschiebt sich ins Randlose. Musische Leichtigkeit mischt sich in die von der Schwerkraft befreiten Sphären. Das Wandern ist des Müllers Lust, das Schweben ist ein Menschenrecht. Oder: Immer schön auf dem fliegenden Teppich bleiben! (Hadschi Halef Omar).

Schweben wie Lilly
John Lilly, Erzengel der Floatation-Bewegung, war überzeugt, dass nicht er das Gehirn der Delfine erforschte, sondern dass jene ihn auf Fragen brachten, die er ohne Anschub durch delfinische Intelligenz gar nicht gestellt hätte. Die Vorstellung, dass die Meere von Wesen bevölkert sind, die ihre begriffsstutzigen Verwandten zu Lande, also uns, gelegentlich mit Inspirationen umspülen, um unsere durch Ungeduld, Hass und Übellaunigkeit verdörrten Gehirne zur Räson zu bringen, diese Vorstellung ist verlockend. Was können wir tun, um sie zu stärken?
Lilly wollte wissen, was das Gehirn macht, wenn ihm alle Außenreize entzogen werden. Ist das Bewusstsein bei «sensorischer Deprivation» ausgeschaltet oder funkt noch ein Licht? Um das herauszufinden, bekommt das Auge im Lilly-Tank außer Dunkelheit nichts zu sehen, das Ohr außer Stille nichts zu hören, der Tastsinn nichts zu fühlen und auch das Gefühl der Schwerkraft verschwindet im körperwarmen Salzwasser. Den Wert des Experiments konnte Lilly eindrucksvoll bestätigen. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Vielen sinkt das Herz in die Badehose, wenn sie gleich nichts mehr sehen, hören, spüren werden – gar nichts. Man muss schon sehr Sarg-affin sein, um unter der sich schließenden Klappe des Lilly-Tanks ein munteres Lied zu pfeifen.

Floating-Tanks ermöglichen Bewusstseinserweiterung. Foto: PD

Über die Schwelle helfen die Gründe der Vernunftwellness auch nur bedingt, wie: Entlastung von Wirbelsäule, Muskulatur und Gelenken, Lösung hartnäckiger Verspannungen, Reduzierung von stressbezogenen Biochemikalien, Steigerung der Immunfunktion, Minderung von Jetlag- Symptomen usw.
Nicht über, sondern in den Schatten springen, Zeuge der eigenen Selbstverschwindung sein, eine mentale Tabula rasa werden und dabei die Ahnung nicht loswerden, dass die vollendete Entspannung der Tod ist – solche Angebote lassen sich dem Ego nicht so gut verkaufen wie vegane Wurstsuppe.
«Glück ist nicht immer lustig», hat Wolfgang Neuss gesagt und der sensorischen Deprivation damit ein ehrliches Mantra vorgelegt. Der Versuch aber, des Pudels Kern konsumfreundlich abzumildern, den Augen ein paar tröstliche Lichter und den Ohren ebensolche Töne anzubieten, entwertet die Logik des Experiments. Aus Respekt vor dem Begründer, der nichts Geringeres als eine Neukonstituierung des Bewusstseins aus dem erlebten Nichts anstrebte, entfaltet das Lilly-Schweben die größte Wirkung, wo es puristisch genossen wird.

Schweben im Flüssigklang
Am anderen Ende desselben Spektrums weist das Liquid-Sound-Konzept mit Baden in Licht und Musik in Richtung «sensorische Stimulation». Auch hier ist das Schweben im warmen Salzwasser die Basis; Dreh- und Angelpunkt ist jedoch die sinnliche Synästhesie, mit dem im Wasser lauschenden Ohr als Zentrum. Da ich für solche Inszenierungen Mitverantwortung trage, fällt die Darstellung hier nicht ganz objektiv aus.

Alle waren gebannt vom Biosphärenklang unterm Sternenmeer …

Am Anfang der Geschichte stand nicht die Suche nach Innovationen im Bäderwesen, sondern der Traum, mit wilden Walen wilde Musik zu machen. Der Musiker Jim Nollman und einige Freunde, mit Wollpullis und lose baumelnden Unterwasserlautsprechern mehr schlecht als recht ausgerüstet, sendeten Versuchsakkorde in den kalten Nordpazifik. Tatsächlich kamen die Wale herbei, meistens nachts, um unser Geklimper mit ihren aquatischen Arien anzureichern. Keiner wusste, was es bedeutete, alle waren gebannt von der Jam-Session zwischen Mensch und Wal, vom Biosphärenklang unterm Sternenmeer auf schwankendem Boot in eiskalter Nacht. Ich weiß nicht, ob Außerirdische Saxophon spielen, aber oft hörten sich die Wale an, als wollten sie außerirdische Saxophonisten veräppeln. War das ihre Botschaft? Andere auf dem Boot sangen, rasselten und geigten für die Wale und gegen die Kälte. Je länger wir spielten, desto drängender wurde der Wunsch, selbst ins Element einzutauchen, in dem die Wale sangen. Doch die Temperatur des Nordpazifiks gestattete keine Bäder, und so blieb die Frage, wie sich das Konzert auf der Wasserseite mit Wal-Ohren anhört, vorerst unbeantwortet.
Es folgten Experimente – von mit Plastiktüten überzogenen Stereoboxen in der Badewanne ist abzuraten –, mit dem Ziel, den Klangraum Wasser für das menschliche Gehör zu erschließen, als Liquid Sound Club, Performance-Bad und immersiven Klangsalon. Über kurz oder lang entstanden die mit Thermalsole gefüllten Wasserkonzertsäle der Toskana-Thermen in Bad Sulza, Bad Schandau und Bad Orb. Die Zahl der Flüssigklang- und Unterwasser-Livemusik-bei-Vollmond-Genießer geht längst in die Millionen.

Klangbadende sind sich nahe, auch wenn sie mit sich allein sind.

Wer in Licht und Klang schwebt wie eine meditierende Makrele, muss an unparadiesischen Verkrustungen von Kopf und Körper nicht festhalten. Die Gesichtsmuskeln kapieren das meist schneller als das misstrauische Ego. Der Begriff des «Festkörpers» löst sich auf wie Zucker im Kaffee. Es sei denn, «fest» wird nicht als Härte, sondern als Feier verstanden. Klangbadende sind sich nahe, auch wenn sie mit sich allein sind.
Weil das Schweben ein unveräußerliches Menschenrecht ist, steht es nicht in Gegnerschaft zu anderen Zuständen. In seiner Souveränität lädt es ein zur friedlichen Teilhabe: fähiger fühlen, komplexer kommunizieren, Horizonte sichten, die weiter reichen als die unsrigen, sich träumen lassen.
Vom Recht auf Schweben machen, je nach Budget und Neigung, Astronauten, Leichter-als-Luft-Schamanen, entheogene Flaneure, Lilly-Floater oder Liquid-Sound-Badende Gebrauch.
Die Frage, ob solche Übungen zur transzendenten Flug-Ekstase oder zur realistischen, weil kosmischen Weltsicht führen, darf mit «Ja!» beantwortet werden.

PS: Das Recht zu schweben hat übrigens nichts mit dem breit getretenen Traum vom Fliegen zu tun, seit der von den Heavy-Metal-Airline- Maschinisten okkupiert wurde.

Micky Remann