Tiere unter dem Einfluss psychotroper Substanzen (1)

Rauschmittelkonsum im Tierreich

CC-BY-SA Dirk Netter, basierend auf "vliegenzwammen" von Onderwijsgek (CC-BY-SA)

Der Konsum von sogenannten Drogen ist in den modernen westlichen Gesellschaften – abgesehen von den legalen Alltagsdrogen – mehr oder weniger ein Tabuthema. Vergleichsweise wenige Substanzen sind sozial akzeptiert, einige sogar illegalisiert. Dennoch sind Kultur und Bewusstseinsveränderung untrennbar verbunden. Kaum ein Ritual, weder in der Kirche noch beim Dorffest, kommt ohne die Verwendung psychotroper Substanzen aus. Gleichwohl werden die leistungssteigernden Eigenschaften von Koffein und anderen dazu verwendet, den Alltag produktiver zu gestalten oder den Feierabend möglichst entspannt zu verbringen.

Wenn diese Betrachtung nicht bereits genügt, die Widersprüchlichkeit von Verboten und Stigmatisierung von Drogen und ihren Konsumierenden zu erkennen, dann lässt sich ebenso darauf verweisen, dass systematischer Drogengebrauch selbst unter den Tieren keine Seltenheit darstellt – im Gegenteil: Viele seiner „Rauschgewohnheiten“ hat sich der Mensch bei den Tieren abgeguckt.

Giorgio Samorini (zvg)

In „Animals and Psychedelics: The Natural World and the Instinct to Alter Conciousness“ (deutsche Ausgabe Liebestolle Katzen und berauschte Kühe, AT Verlag 2002, inzwischen vergriffen, aber antiquarisch greifbar) befasst sich der Autor Giorgio Samorini mit der Zoopharmakognosie – der Selbstmedikation von Tieren.

Der Autor betont dabei das ‚bewusste‘ und wiederholte Herbeiführen veränderter Bewusstseinszustände, weniger den potenziell unbeabsichtigten Konsum giftiger Nahrung.

Einige Katzenbesitzer kennen die Vorliebe ihrer Vierbeiner für Katzenminze (Nepeta cataria), die in jedem Fachgeschäft in verschiedenen Ausführungen zu erwerben ist und bei uns auch als Wildpflanze gedeiht. Als verantwortlich für die Wirkung von Katzenminze gilt Nepetalacton, eine chemische Verbindung die auch bei anderen Säugetieren eine opioide Wirkung zeigt (vgl. Aydin et al. 1998). Auch der in unseren Breiten heimische Echte Baldrian (Valeria officinalis) erregt das Gemüt vieler Hauskatzen im wahrsten Sinne des Wortes.

Weniger bekannt ist der Japanische Strahlengriffel (Actinidia polygama), im Herkunftsgebiet als Matabi bekannt, der eine von der Katzenminze verschiedene Wirkung erzeugt (vgl auch: Rätsch 2018, S. 594), wie Samorini (2002, S. 37) beschreibt:

„Nach dem Kauen der Blätter strecken (…) sich [die Katzen] mit erhobenen Pfoten auf dem Rücken aus und verharren für einige Zeit regungslos in dieser Position – in scheinbarer oder möglicherweise echter Ekstase.“

Die Wirkung dieser Pflanzen kann nicht nur bei der Hauskatze beobachtet werden, sondern auch Löwen und Jaguare zeigen sich empfänglich für deren psychotrope Effekte (vgl. Hill et al. 1976).

Actinidia polygama (Matatabi) | CC-BY-SA Qwert1234

R. Gordon Wasson, der Gründungsvater der Ethnomykologie, berichtete von sibirischen Schamanen, die den Fliegenpilz (Amanita muscaria) aßen, um in einen Trance-Zustand zu gelangen (Wasson 1972). Der Urin der Schamanen wurde in einigen Fällen an die Teilnehmenden der Zeremonie ausgeschenkt, da dieser als besser bekömmlich gilt, weil die Ibotensäure so durch die Entgiftungsorgane zum bekömmlicheren Musicmol abgebaut wird. Ebenso wurde der Urin von Rentieren getrunken, die zuvor Fliegenpilze gefüttert bekamen.

Die Rentiere suchen offenbar auch selbstständig nach den Fliegenpilzen, um diese „gierig“ zu verspeisen (vgl. Samorini 2002, S. 39). Möglicherweise diente dieses Verhalten den Schamanen als Vorlage für ihre ersten Experimente mit dem Pilz.

Eine ganze Reihe von Wildtieren kann beim Pilzkonsum beobachtet werden, meist handelt es sich dabei jedoch um psilocybinhaltige Exemplare der Gattungen Psilocybe und Panaeolus. Samorini berichtet exemplarisch von einem Erlebnis, das sich in den italienischen Alpen abspielte:

„Einmal wurde ich von einem großen Ziegenbock angegriffen, der mir einen kräftigen Schubs mit seinen Hörnern gab, während ich mich bückte, um einige Pilze zu untersuchen. Er war eines der massiveren Exemplare in einer Herde von etwa fünfzig Tieren, die vor mir umherstreifte. Im Vertrauen auf die Sanftmütigkeit der Tiere, sammelte ich einfach weiter die Pilze. Als ich sah, dass mehrere Ziegen angehalten hatten, um mich zu beobachten, lächelte ich sie offen an und zeigte ihnen den Strauß Pilze, den ich gerade geerntet hatte.
In dem Moment, in dem ich das tat, sprang der Bock vor und schubste mich mit seinen Hörnern so an, dass ich mehrere Meter den Hang hinunter rollte. Während meines Sturzes fiel mir die Papiertüte mit den Pilzen, die ich gesammelt hatte, aus der Hand. Überrascht und verängstigt blieb ich auf Abstand zum Bock, der sich mit einigen anderen Ziegen auf den Sack stürzte und dessen Inhalt verschlang. Als der Sack leer war, begannen die Tiere das Gras zu durchwühlen und verschlangen alle Pilze, die ich noch nicht gesammelt hatte“ (Samorini 2002, S. 40f.).

Im zentralafrikanischen Gabun wird davon berichtet, dass Mandrills, eine Primatenart, selbstständig Iboga-Büsche (Tabernanthe iboga) aufsuchen, um deren Wurzel zu konsumieren. Die Primaten sind für ihre komplexe Sozialstruktur bekannt, in welcher Iboga eine zentrale Rolle bei Vorherrschaftskämpfen der Männchen spielen soll (vgl. Samorini 2002, S. 57).

Ein Mandrill | CC-BY Malene

Zahllose weitere Tierarten können beim vermeintlich willentlichen Substanzgebrauch beobachtet werden, darunter klassische Psychedelika, Opiate, das Drüsensekret der Koloradokröte Bufo alvarius oder Alkohol vergorener Früchte (vgl. auch Kotler 2010; Siegel 1990).

Es zeigt sich also, dass der Mensch bei weitem nicht die einzige Spezies ist, welche dazu im Stande ist, sich die psychoaktiven Eigenschaften der Flora und Fauna zunutze zu machen.

Diese Beobachtungen werfen einige interessante Sichtweisen auf. So könnte daraus beispielsweise geschlussfolgert werden, dass der Mensch sich den Drogengebrauch der Tiere zum Vorbild nahm, um der tödlichen Gefahr des zufälligen Experimentierens (Trial and Error) zu entgehen.

Auch kann die Frage nach dem „Bewusstsein der Tiere“ neu bewertet werden, da Tieren, die offenbar nach der psychedelischen Erfahrung suchen, nicht zwangsläufig eine gewisse Selbstbewusstheit abgesprochen werden kann.

Literatur:

Aydin, S./Beis, R./Oztürk, Y./Baser, K. H./Baser, C. (1998): Nepetalactone: a new opioid analgesic from Nepeta caesarea Boiss. In: The Journal of Pharmacy and Pharmacology, 50. Jg., H. 7, S. 813–817.

Hill, J. O./Pavlik, E. J./Smith, G. L./Burghardt, G. M./Coulson, P. B. (1976): Species-characteristic responses to catnip by undomesticated felids. In: Journal of Chemical Ecology, 2. Jg., H. 2, S. 239–253.

Kotler, S. (2010): Animals on Psychedelics: Survival of the Trippiest. In: Psychology Today. http://www.psychologytoday.com/blog/the-playing-field/201012/animals-psychedelics-survival-the-trippiest (8. März 2020).

Rätsch, C. (2018): Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen : Botanik, Ethnopharmakologie und Anwendung. 14. Aufl. Aarau/Schweiz.

Samorini, G. (2002): Animals and Psychedelics: The Natural World and the Instinct to Alter Consciousness. Original. Rochester, Vt.

Samorini, G. (2002): Liebestolle Katzen und berauschte Kühe. Aarau: AT Verlag

Siegel (1990): Intoxication: Life in Pursuit of Artificial Paradise. New York.

Wasson, R. G. (1972): Soma: Divine Mushroom of Immortality. The Hague.

 

Dirk Netter