Zwischen den Welten

500 Jahre Schamanismus und Schamanismusforschung

Eine Schamanin zelebriert ein Ritual am neuntägigen Festival «Ruf der 13 Schamanen» bei Khorum-Dag in Sibirien. Foto: Alexander Nikolsky / Siberian Times

Artikel im Heft

Vor fünfhundert Jahren, als die Europäer begannen, den amerikanischen Doppelkontinent zu erkunden, trafen sie in vielen Gemeinschaften auf Menschen, die behaupteten, mit Geistern zu kommunizieren, um von ihnen über das Leben und über die Heilkunst zu lernen. Manche dieser Menschen fasteten, bis sie wie Skelette aussahen. Andere tranken Tabaksaft durch Trichter oder trugen Halsmanschetten, die mit stechenden Ameisen gefüllt waren. Nachdem die Europäer dies beobachtet hatten, bekundeten sie in ihren Aufzeichnungen und Berichten ihre Abscheu dem gegenüber. So besuchte zum Beispiel der französische Geistliche André Thévet 1557 Brasilien und bezeichnete Indigene, die solche Rituale praktizierten, als «Abgesandte des Teufels». Thévet sah in den schamanischen Ritualen das, was er als verbotenes Wissen bezeichnete: «Welchen Sinn hat es, mit allzu viel Neugierde die Geheimnisse der Natur und anderer Dinge zu erforschen, wenn dies doch Wissen ist, das der Herr für sich vorbehalten hat? Solch ein Verhalten weist auf unzureichendes Urteilsvermögen, Ignoranz und den Mangel an Glauben und einer guten Religion hin.»

Ritueller Tanz eines Schamanen mit seiner Trommel am Festival «Ruf der 13 Schamanen». Foto: Alexander Nikolsky /Siberian Times

Im 17. Jahrhundert begannen die Russen, Sibirien zu kolonisieren, und auch sie trafen auf Menschen, die behaupteten, mit Geistern in Kontakt treten zu können. Die Tungus sprechenden Menschen im östlichen Sibirien nannten eine solche Person saman oder shaman. Solche shaman trommelten, sangen und führten Bauchrednerund Trickster-Performances auf, imitierten Tiergeräusche in der Dunkelheit oder täuschten vor, sich selbst mit Messern zu erstechen. Sie behaupteten, Menschen heilen oder auch schädigen zu können, das Wetter und die Jagderfolge vorhersehen und überhaupt in die Zukunft schauen zu können. Der Geistliche Avvakum Petrovich, der als Erster über einen sibirischen Schamanen berichtete, beschrieb diesen als einen «Schurken von Magier, der die Dämonen herbeiruft».
Als die Europäer die Welt erkundeten, trafen sie auf viele verschiedene Menschen, die behaupteten, mit Geistern zu kommunizieren, um von ihnen über das Leben und Heilen zu lernen. Solche Menschen werden in den verschiedenen Sprachen mit unterschiedlichen Namen bezeichnet, zum Beispiel pagé, paiyé, angakkut, arendiouannens und shaman. Die Europäer, die aus Spanien, England, Frankreich, Russland und Deutschland kamen, nannten solche Schamanen Gaukler, Hexer, Magier und Taschenspieler und gaben ihnen auch andere, meist abfällige Namen.
Im 18. Jahrhundert, zur Zeit der Aufklärung, begannen die Europäer, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant prägte als Motto der Aufklärung den Satz «Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!» (lat. Sapere aude). Trotzdem verstanden die eher rationalistisch geprägten Beobachter die Schamanen nach wie vor falsch. Zwar fürchteten sie sich nicht mehr vor dem Wissen, aber die Schamanen irritierten sie dennoch mit ihrem eigenartigen Verhalten. Aus ihrer Sicht hatten die schamanischen Darbietungen und Tricks nicht viel mit wahrem Wissen zu tun.

Die europäischen Beobachter waren angehende Wissenschaftler, die nach einer messbaren und möglichst objektiven Weltsicht strebten. Sie wollten die Welt mit ihrem Verstand begreifen. Wenn sie auf Schamanen trafen, neigten sie dazu, diese als Betrüger zu betrachten, die es verdienten, entlarvt zu werden. Nachdem beispielsweise der deutsche Professor Johann Gmelin das Ritual eines Tungus-Schamanen und seiner Assistenten in Sibirien miterlebt hatte, befand er anschließend, dass sie für diesen «Hokuspokus» für den Rest ihres Lebens in den Silberminen Zwangsarbeit verrichten sollten.
Im 19. Jahrhundert etablierte sich die akademische Erforschung des Menschen und seiner Kultur. Diese neue Disziplin, Sozialanthropologie oder Ethnologie genannt, nahm allerdings einen eher dürftigen Anfang. Die ersten Anthropologen vertraten die Ansicht, die indigenen Ethnien seien «Barbaren», «Primitive» und Angehörige «minderwertiger Gesellschaften». Unglücklicherweise haben diese frühen Anthropologen zu der Zeit, als die westliche Zivilisation die indigenen Kulturen rücksichtlos überrannte und auch den Schamanismus veränderte, sehr wenig brauchbare Informationen über Schamanen vorgelegt.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts realisierten einige Anthropologen, dass die Indigenen, die sie beobachteten, sich nicht wesentlich von ihnen selbst unterschieden. So schrieb der Deutsch- Amerikaner Franz Boas 1887: «Der Eskimo ist ein Mensch wie wir. Seine Gefühle, seine Tugenden, seine Unzulänglichkeiten sind, genau wie bei uns, Ausdruck der menschlichen Natur.»

«Schamanen sind eher Psychoanalytiker als Psychopathen.»

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterzogen die Anthropologen ihre Vorurteile einer kritischen Betrachtung. Dies verbesserte ihre Beobachtungsfähigkeit und führte dazu, dass plötzlich eine noch nie dagewesene Vielzahl von detaillierten Berichten über Schamanen verfasst wurde. Die Forscher begannen überdies, den Schamanen die Möglichkeit zu geben, für sich selbst zu sprechen. So veröffentlichte zum Beispiel der dänische Anthropologe Knud Rasmussen in den zwanziger Jahren wortwörtliche Berichte der Inuit, beispielsweise von einem Schamanen namens Igjugârjuk, der Rasmussen erzählte: «Die wahre Weisheit kann nur weit weg von den Menschen gefunden werden, in der Zurückgezogenheit. Sie kann nicht im Spiel, sondern nur durch Leiden erworben werden. Einsamkeit und Leiden öffnen den menschlichen Geist. Und deshalb muss ein Schamane seine Weisheit auf diese Weise erwerben.» Solche Texte machten es möglich, auf neue, empathische Weise etwas über diese Traditionen zu lernen.
Zu Rasmussens Zeit waren jedoch nicht alle Anthropologen so offen. Einige betrachteten Schamanen als geistesgestört, unter anderem weil sie während ihrer Trancezustände halluzinierten und diese Halluzinationen auch noch ernst nahmen, weil sie behaupteten, mit Geistern kommunizieren zu können, und weil sie mit Stimmen sprachen, die nicht die ihren waren. Die Anthropologen debattierten deshalb jahrzehntelang über die geistige Gesundheit von Schamanen. Auf subtil-dialektische Weise stellte der französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss die Diskussion auf den Kopf, indem er konstatierte: «Schamanen sind eher Psychoanalytiker als Psychopathen.» Andere Forscher bestätigten, dass die Schamanen meist zu den gesündesten Mitgliedern der Stämme gehörten und gewöhnlich von den anderen als Ärzte betrachtet wurden.
Um die Mitte des 20. Jahrhunderts berichteten Anthropologen über Schamanen aus verschiedenen Erdteilen, aus Australien, der Arktis und vom Amazonas. Zwar wurden diese Menschen lokal mit unterschiedlichen Namen bezeichnet, die jedoch alle Synonyme zum sibirischen Terminus shaman zu sein schienen. Aufgrund dieser Ähnlichkeit verwendete der Schweizer Anthropologe Alfred Métraux bei der Erforschung des amazonischen Stamms der piai erstmals das Wort Schamane. Er fand heraus, dass die Funktion des Schamanen darin besteht, Krankheiten zu heilen, das Wild zu verzaubern, Zeichen und Omen zu interpretieren, das Wetter zu beeinflussen und die Zukunft vorherzusagen. Ein Schamane kann außerdem Schadenzauber vollbringen, berichtete Métraux. Aber unter dieser verwirrenden Fülle aus Fertigkeiten und Funktionen entdeckte Métraux eine dem Schamanismus zugrundeliegende Einheit. 1944 definierte er, ein Schamane sei «jeder, der berufshalber und im Interesse der Gemeinschaft zeitweilig mit Geistern verkehrt oder von diesen besessen ist». Dies ist die kürzeste Definition des Schamanenbegriffs.
1951 beendete der rumänische Religionshistoriker Mircea Eliade die Arbeiten an seinem Buch Schamanismus und archaische Ekstasetechnik, das auf anschauliche Weise die zahlreichen Ähnlichkeiten von Praxis, Weltsicht und symbolischem Verhalten bei Schamanen auf der ganzen Welt und in Hunderten Gesellschaften dokumentiert. Eliades Arbeit zeigt, dass die Praktiken und Konzepte der Schamanen uralt und zutiefst menschlich und deshalb von großem Interesse sind.

«Der Schamane, er allein, ist der große Meister der Ekstase.»

Eliade hat auch gezeigt, weshalb der Schamanismus in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts so attraktiv wurde, zu einer Zeit, da viele mit den traditionellen Religionen eher unzufrieden waren. «Der Schamanismus ist die religiöse Erfahrung par excellence», schrieb Eliade. «Der Schamane, er allein, ist der große Meister der Ekstase.» Eliade sah das explodierende Interesse für den Schamanismus voraus, das seinen Höhepunkt in der New-Age-Bewegung fand.
Und auch die Forscher gingen zu einer anderen Art der Beobachtung über, welche schließlich die anthropologischen Studien veränderte: Als «teilnehmende Beobachter» beteiligten sie sich am indigenen Leben und waren bei Stammesaktivitäten dabei, während sie gleichzeitig versuchten, das Geschehen aus einer gewissen Distanz zu beobachten. So begannen die Anthropologen nun auch aktiv an schamanischen Sitzungen teilzunehmen, um diese besser verstehen zu lernen.
Andere Wissenschaftler und Autoren entdeckten in den Fünfzigerjahren die Macht der Halluzinogene wie LSD und Meskalin. Sie stellten fest, dass diese Substanzen die Wahrnehmung der Welt auf eine radikale Weise verändern können. Es lag also nahe, dass Halluzinogene ihre Wirkung aufgrund einer veränderten Gehirnchemie entfalten und nicht etwa durch Aberglauben und Suggestion.
Als die westlichen Forscher an schamanischen Sitzungen mit psychoaktiven Pflanzen teilnahmen, stellten sie zu ihrem Erstaunen fest, dass sie die gleichen Erfahrungen machen konnten, wie die Schamanen sie beschrieben. Besonders ein Bericht stieß dabei auf große öffentliche Aufmerksamkeit. Der US-amerikanische Banker Gordon Wasson hatte in Mexiko bei der Curandera Maria Sabina Psilocybin-Pilze gegessen. In einem langen Artikel, der 1957 im Life-Magazin erschien, beschrieb er, wie er unter der Pilzwirkung aus seinem Körper herausgeflogen war. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Berichte über den Schamanismus in obskuren akademischen Fachzeitschriften erschienen. Diesen Artikel von Wasson aber lasen Hunderttausende, und viele folgten seinem Beispiel – was schließlich Maria Sabina in ernsthafte Schwierigkeiten brachte.

Die berühmte Schamanin Maria Sabina. Foto: Nicolas Echevarria

In den sechziger Jahren nahmen viele junge Leute Halluzinogene. Zu dieser Zeit machte ein junger Anthropologiestudent von sich reden, Carlos Castaneda, der behauptete, bei einem Yaqui-Indianer in Arizona und Mexiko gelernt zu haben und ein «Zauberlehrling» gewesen zu sein. Castaneda ging einen Schritt weiter als die «teilnehmenden Beobachter». Er berichtete von einer absonderlichen, aber kohärenten Welt, von einer «anderen Wirklichkeit», die er unter dem Einfluss von halluzinogenen Pflanzen bereist habe. 1968 veröffentlichte er sein Buch Die Lehren des Don Juan: Ein Yaqui-Weg des Wissens, in dem er von seinen Erlebnissen berichtet. Das Buch und seine Fortsetzungen avancierten weltweit zu Bestsellern.
Castaneda nannte seinen Lehrer einen Zauberer, was im Lateinischen soviel wie Wahrsager bedeutet. Im deutschen und englischen Sprachgebrauch bezeichnet das Wort jedoch Personen, die über eine von bösen Geistern erworbene Macht verfügen und sie vor allem zur Divination einsetzen. Castaneda beschrieb seinen Lehrer nicht als Heiler, aber als einen Mann des Wissens mit einem Interesse für energetische Kräfte. Zusammen mit einigen Anleitungen für gewisse schamanische Techniken beflügelte dies die Fantasie von Millionen Menschen. Die beschriebene Suche nach einem Kraftort, die Technik des peripheren Sehens und die Einnahme von Psilocybin-Pilzen vermittelte den Lesern das Gefühl, sie könnten selbst auch Zauberlehrlinge werden und den Schamanismus aus erster Hand erfahren.
Bald erhoben sich kritische Stimmen, welche die Authentizität der Berichte Castanedas anzweifelten. Anscheinend hat er seine Erzählungen hier und da um erfundene Teile ergänzt; insgesamt basieren die Aufzeichnungen offenbar dennoch auf realen Begebenheiten und Forschungen. Jedenfalls sind sie amüsant und gut zu lesen. Mittels literarischer Kunstgriffe spielt Castaneda ein typisch schamanistisches Tricksterspiel mit seinen Lesern und erstaunt sie mit allerlei Taschenspielertricks, um sie von ihren vorgefassten Meinungen über die Beschaffenheit der Realität zu befreien.
Durch Castanedas Bücher begannen Millionen von Menschen, sich für gelebten Schamanismus zu interessieren. Innerhalb der New-Age-Bewegung blühte der Neo-Schamanismus nur so auf, vor allem in den USA, aber auch weltweit. Diese Neo-Schamanen sind jedoch kaum wissenschaftlich untersucht worden.
Forscher der letzten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts haben mehr Texte über Schamanismus produziert als jemals zuvor in der Geschichte, und auch die Schamanen selbst haben Texte verfasst. So wurde zum Beispiel die mündlich überlieferte Autobiografie der mazatekischen Schamanin Maria Sabina weltweit in verschiedene Sprachen übersetzt. Indem die Anthropologen den Schamanismus ganz genau und akribisch untersuchten, eröffnete sich den Forschern eine reichhaltige und im Inneren kohärente Art der Weltsicht. Schließlich kamen sie zur Erkenntnis, dass der Schamanismus «eine Sammlung verschiedener Techniken des Wissens» darstellt, wie es der britische Anthropologe Graham Townsley ausdrückt. Derzeit betrachten die Wissenschaftler Schamanen nicht nur als Heiler, sondern als hochentwickelte Bewusstseinstechnologen. Damit stufen sie die Schamanen auf derselben intellektuellen Ebene ein wie sich selbst.

«Der Schamanismus bekräftigt das Leben, bringt aber auch Gewalt und Tod hervor.»

Es muss immer noch viel Forschungsarbeit geleistet werden. Während Wissenschaftler die Schamanen ausgenutzt haben, um an ihr Wissen über pharmakologisch aktive Pflanzen zu gelangen, um daraus Pharmazeutika herzustellen, muss die Wirksamkeit der schamanischen Heilung erst noch ergründet werden. Auch hat bislang niemand die schamanische Weltsicht und das schamanische Verständnis der Natur untersucht. Schamanen dürfen als frühe Erkunder der menschlichen Psyche gelten; ihre psychologischen Systeme wurden bislang allerdings kaum unter die Lupe genommen. Im Lichte dessen, was man heute über geistige und körperliche Heilung weiß, brauchen wir Schamanen nicht länger als Scharlatane zu betrachten, die Menschen mittels Tricks gesund machen, oder als Zauberkunststücke vollführende Hochstapler. Sie sind eher mit Psychologen zu vergleichen.
Die derzeitige Bereitschaft der Wissenschaftler, die Schamanen ernst zu nehmen, signalisiert die Möglichkeit, dass sich diese beiden Weltsichten annähern können und ergo ein Dialog möglich wird. Das wird jedoch nicht einfach werden. Der Schamanismus begründet sich im Selbst und der Subjektivität, während die Methoden der Wissenschaft in den meisten Fällen über das subjektive Selbst des Forschers hinausgehen. Im Schamanismus geht es in vielerlei Hinsicht um die Erforschung des eigenen Selbst; die Wissenschaft hingegen erforscht vor allem die anderen.
Manche Psychologen und Ärzte betrachten den Schamanismus als eine Art, sich die Kraft der mentalen Symbolik nutzbar zu machen. Aber er ist mehr als das: Es geht um Wissen, Heilung und Kraft – und der Schamanismus ist naturgemäß mehrdeutig. Schamanen in Ausbildung verspüren dabei häufig ein starkes Verlangen, ihre neu erworbenen Kräfte zu missbrauchen, um beispielsweise andere Menschen zu schädigen, wie der Secoya-Schamane Fernando Payaguaje in seinem Buch The Yage Drinker darlegt. Andere sind der dunklen Seite der Zauberei erlegen, wie der amerikanische Anthropologe Michael Brown berichtet: «Der Schamanismus bekräftigt das Leben, bringt aber auch Gewalt und Tod hervor.»

Sibirische Schamanentrommel. Foto: Ninara/Flickr

Und hier schließt sich der Kreis; wir kommen zurück auf die Berichte aus dem 16. Jahrhundert, in denen Schamanen als Vertreter des Bösen betrachtet wurden. Dies ist zwar ein einseitiger Blick, jedoch nicht zur Gänze fehlgeleitet. Auch ist es wohl nicht ganz verkehrt, Schamanen als Gaukler zu bezeichnen – in dem Sinne, dass sie fähig sind, viele Dinge gleichzeitig zu tun und neue Elemente in ihre Rituale einzubringen. So gibt es heute im Amazonasgebiet Schamanen, die im Wald und in Städten leben, Spanisch, Portugiesisch und die indigenen Sprachen sprechen und zwischen den Mestizen- und indigenen Gesellschaften pendeln.
Schamanen haben sich schon immer darauf spezialisiert, zwischen den Welten zu wandern, und es sieht nicht so aus, als seien sie nicht genug gerüstet, um sich in dieser sich wandelnden Welt, die uns umgibt, zurechtzufinden. Der Schamanismus ist widerstandsfähig und gleicht einem Chamäleon, wie der britische Anthropologe Piers Vitebsky schreibt. Er kann in raffinierten neuen Verkleidungen auftreten.
Zwischen den Schamanen und ihren Beobachtern bestand über Jahrhunderte hinweg eine eigenartige Beziehung. Obwohl viele Wissenschaftler dazu übergegangen sind, Schamanen ernst zu nehmen, ist da immer noch eine Art «Kraftfeld», das die Schamanen auf Abstand hält, wie es die amerikanische Anthropologin Edith Turner ausdrückt. Es hat mit einem Glaubenskonflikt über die fundamentale Beschaffenheit der Realität zu tun. Viele Forscher, vor allem jene, die zu Wissenschaftlern ausgebildet wurden, gehören zu den philosophischen Materialisten. Sie gehen davon aus, dass alles, was existiert, entweder aus Materie besteht oder von der Materie abhängt. Schamanen sehen das nicht so. Sie glauben an Geister.
Auch nach fünfhundert Jahren Schamanismusforschung bleibt der Kern der Materie für die Wissenschaft ein Mysterium. Hingegen hat sich die Sichtweise der Forscher in den letzten fünf Jahrhunderten verändert. Sie ist offener geworden. Und so beginnt ein neues Verständnis zu erblühen.

JEREMY NARBY, Jahrgang 1959, ist in Kanada und in der Schweiz aufgewachsen. Studium der Geschichte an der Universität von Canterbury, Doktor der Anthropologie an der Stanford Universität. Narby ist Autor zahlreicher Artikel und Bücher zu den Themen Anthropologie, Schamanismus und Ethnologie.
de.wikipedia.org/wiki/Jeremy_Narby

FRANCIS HUXLEY (* 28. August 1923; † 29. Oktober 2016), der Neffe des berühmten Schriftstellers Aldous Huxley, war Anthropologe, Botaniker und Autor diverser englischsprachiger Bücher über südamerikanischen Schamanismus, den Voodoo-Kult und vieles mehr.
de.wikipedia.org/wiki/Francis_Huxley