Albert Hofmann war für mich immer ein Augenöffner – nicht nur durch seine Entdeckung: Bei unseren vielen Begegnungen auf der Rittimatte (seiner zweitgrößten Entdeckung, wie Albert zu sagen pflegte), auf dem Weg zu seinem «Bänkli», konnte er mit einer unvergleichlichen Liebe zum Detail sich immer wieder an den Wundern der Natur erfreuen, auf die Schönheit einer einzelnen Blüte hinweisen oder sich an den faszinierenden Farben von Schmetterlingen erfreuen. Bis zu seinem hohen Alter von 102 Jahren war er nicht auf eine Brille angewiesen! Er sagte von sich selbst, er sei ein «Augenmensch».
Die psychedelische Erfahrung erweitert die Wahrnehmung, das, was ich wahr nehme.
Es ist bald 35 Jahre her, dass ich Albert Hofmann das erste Mal traf und ihn zu einem Vortrag zum Thema LSD einlud. Ihm war es bereits damals wichtig, nicht nur über sein sogenanntes Sorgenkind zu reden. Zu der Zeit war das Waldsterben ein omnipräsentes Thema in den Medien und erinnerte die Menschen an die Grenzen des Wachstums; der ökologische Kollaps wurde erstmals breit diskutiert. Albert Hofmann wollte aufzeigen, wie wir uns durch eine vertiefte Innenschau der Wahrnehmung des äußeren Raumes bewusst werden – und danach handeln sollten.
Die psychedelische Erfahrung erweitert die Wahrnehmung, das, was ich wahrnehme. Wir werden uns dabei der Einheit, des Einsseins mit uns und unserer Umgebung bewusst. Ist unser Inneres nicht im Gleichgewicht, können wir daran arbeiten und uns weiterentwickeln – falls nötig, auch mit therapeutischer Unterstützung. Im Äußeren – im politischen, gesellschaftlichen oder ökologischen Kontext – erkennen wir den Handlungsbedarf, um einen nachhaltigen Beitrag zum Schutz unseres Lebensraums zu leisten.
LSD war in den sechziger Jahren Mitauslöser und Trigger für ökologische Anliegen, für spirituelles Erwachen, für die Friedensbewegung, für die Frauenrechte und mehr – sei es in Kunst, Literatur oder bei der Digitalisierung. Die zeitliche Kohärenz dieser Themen mit LSD, dem Summer of Love, dem Aufkommen der Hippies und der FlowerPowerZeit ist offensichtlich.
So vielfältig und individuell, wie auch die Erfahrung mit LSD sein kann, entstanden durch diesen pharmakologischchemischen und psychonautischen Einfluss zahlreiche Ausprägungen in der Gesellschaft: vom Meditierenden über den politisch und ökologisch Aktiven hin zum Computer-Nerd. Die einen gingen nach Indien, andere studierten oder wurden politisch aktiv. Allen gemeinsam war damals der Wunsch einer Veränderung des nicht mehr tragbaren Status quos: der bürgerlichen Doppelzüngigkeit, der politischen Verlogenheit, der Kriegstreiberei in Form des Vietnamkrieges sowie der Zerstörung und Ausbeutung unserer Mitwelt. Nicht zuletzt deshalb wurde der damals zum «LSDDrogenpapst» hochstilisierte Tim Leary als der «gefährlichste Mann Amerikas» gebrandmarkt, politisch weltweit verfolgt und schließlich ins Gefängnis gesteckt. Die Angst der Konservativen vor Veränderungen ist bis heute die Gleiche geblieben. Deswegen haben wir wohl auch noch immer mehr oder weniger dieselben Drogengesetze wie damals…
Bleiben wir, wie Albert Hofmann es ausdrückte, Augenmenschen – und werden uns dessen gewahr, was nicht stimmig ist und was wir tun wollen, um es zu verändern. Packen wir’s weiterhin an, im Sinn und Geist eines passenden Zitates von Albert Hofmann: «Die höchste Stufe des Sehens ist Liebe. Liebe ist die höchste Stufe des Sehens.»
Roger Liggenstorfer, Herausgeber