Donna Torres: The Woman who Looks into the Inside of Things – A Table for Maria Sabina

Die Frau, die ins Innere der Dinge schaut – Ein Tisch für Maria Sabina. Öl auf Leinwand, 51 x 71 cm, 2001

Auszug aus dem Magazin

Ganz oben ein schmales Band von Maispflanzen vor blauem Himmel. Darunter auf Tisch und Fensterbank ein Stillleben voller beziehungsreicher Utensilien aus dem Leben und Wirken der mazatekischen Pilzschamanin Maria Sabina. In der linken unteren Ecke, auf der rechten Seite des angeschnittenen Ringbuchs, eine mit Sternen jonglierende Wasserfrau. Darunter ein kreisrund rechter Ausschnitt des Sternbildes ihrer Velada mit Gordon Wasson. Darüber die Armbanduhr mit der Uhrzeit ihrer nächtlichen Sitzung. All dies auf der gelben Landkarte ihres Geburts- und Wirkungsortes Huautla. Und auf dieser Landkarte rechts ein dicker weißer Foliant mit der Titelbild-Zeichnung von Stropharia cubensis; die (spiegelverkehrt) getreue Wiedergabe von Roger Heims Aquarell. Daneben eine gelbblühende Tabakpflanze auf rotem Grund. Vom Tisch ragt links eine verkapselte grüne Flasche mit Trago-Schnaps über die Fensterbank. Darauf (von links nach rechts) aufgereiht eine Zigarettenschachtel mit Kolibri-Motiv, eine mit einer Spinne verzierte Streichholzschachtel, eine Schale mit dreizehn Maiskörnern und zwei mit blauem Tuch und blauer Schleife wohlverschnürte weiße Kerzen.

In feinster Öltechnik präsentiert uns Donna Torres den Kosmos der Pilzschamanin Maria Sabina als Stillleben. Mit einer sorgsamen Auswahl bedeutsamer Utensilien ihrer schamanischen Heilzeremonien. Eine dokumentarische Bestandsaufnahme. Zur Reinigung nutzte die Schamanin den Trago-Schnaps und den Tabak der Zigaretten. Die Maiskörner dienten ihr als Orakel. Mit den Streichhölzern entzündete sie die beiden Kerzen als Lichtquellen der nächtlichen Zeremonie. In ihrem Gesang beschwört die Heilerin sich selbst als «Frau des Lichts» und als «Frau Kolibri» – daher das Motiv auf der Zigarettenschachtel.

Die psychonautischen Tableaus der botanischen Zeichnerin und Malerin Donna Torres verweigern sich stilistisch dem Wiedererkennungswert psychedelischer Erfahrungen. Und bieten skeptisch Unerfahrenen neutrale Einblicke in visionäre Welten. So wie hier ins Leben und Wirken von Maria Sabina, die ins Innere der Dinge schaut, und mutig ihre langgehüteten Geheimnisse Gordon Wasson anvertraute. Der im Juni 1957 im Life Magazine erschienene Artikel des Bankiers und Pilzenthusiasten stimulierte bahnbrechend die Wende zur psychedelischen Ära und machte viele Blumenkinder auf die geheimen Pilzkulte in Mexiko aufmerksam.

Donna Torres ist in vielen Welten zu Hause. Die Tochter einer kolumbianischen Mutter und eines kanadischen Vaters lebt mit ihrem aus Kuba emigrierten Mann, dem Kunsthistoriker Manuel Torres, in Miami, Florida. Jahrzehntelang war ihnen die Atacama-Wüste im Norden Chiles eine zweite Heimat. Dort widmeten sie sich der archäologischen Bestandsaufnahme der vorkolumbianischen Atacama-Kultur, die zum größten Teil aus kunstvoll verzierten Schnupftabletts zum Inhalieren der Samen des Hülsenfruchtbaumes Anadenanthera colubrina besteht. In San Pedro de Atacama unterrichtete Donna Torres einheimische IndianerInnen in der Kunst der wissenschaftlichen mZeichnung zur Wahrung ihres kulturellen Erbes.

Den hohen Horizont und die nach oben gekippte Perspektive von Räumen und Flächen lernte die in naturgetreuem botanischem Zeichnen ausgebildete Malerin in Italien kennen, wo sie intensiv die Malerei des 14. Jahrhunderts studierte. Dieser perspektivische Kunstgriff ermöglicht die Aufsicht auf viele Objekte und inspirierte wesentlich ihre sorgsame Komposition eines visionären Stilllebens – und des Kosmos der Maria Sabina.

www.donnatorres.comwww.claudia-mueller-ebeling.de

Literaturtipp:
Roger Liggenstorfer & Christian Rätsch (Hg.): Maria Sabina – Botin der heiligen Pilze. Nachtschatten Verlag, Solothurn 1996.