Jawohl. Es gibt sie doch, die magische Welt hinter den sieben Bergen. Auf Bali. Dort erweckt ein Zirkusdirektor mit visionärem Zauberstab Gesichter und Wesen aus filigranen Mustern zum Leben.
Wo kommen sie her? Diese betörend vielschichtigen Meta-Ebenen der Wirklichkeit in Luke Browns Bildern von Pflanzengeistern wie Salvia dalinorum und Substanzen wie Foxymethoxy? Seine visionären Spectral-Eyes-Einblicke in den Crystal Forest und das Inner Sanctum? Was inspirierte den Künstler zu Wesen wie Alpha Centauri, Fractal Feline und Cat God?
Diese Bilder faszinierten mich seit langem. Im September 2014 begegnete ich Luke Brown in der Schweiz, beim dreißigsten Jahrestag des Nachtschatten Verlags in Solothurn, und konnte ihn endlich nach der Quelle seiner Inspirationen fragen. «Sie waren plötzlich da. Ich brauchte meine Visionen nur noch abzumalen», meinte der Künstler bei unserem Gespräch am sonnigen Ufer der Aare trocken. Er muss es wissen. Er hat sie schließlich zur Welt gebracht.
Das Energiebündel mit Nasenpiercing und Tattoos ist kein Balinese, sondern Kanadier. Aber seit 2004 verbringt er die Wintermonate auf Bali. Diese Insel (die als einzige im indonesischen Archipel ihre hinduistische Kultur bewahrte) ist nicht nur tropisch verlockend, sondern das perfekte kreative Umfeld für einen Künstler wie Luke Brown. Denn hinduistische und buddhistische Götter bevölkern seine Phantasie. Und die sind auf Bali allgegenwärtig. Wie auch einheimische Künstler, die ihnen nach allen Regeln der Kunst (und des Handwerks) Leben einhauchen und dem visionären Maler helfen, seine Visionen zu realisieren.
Das lapidare Statement, er habe die komplexen filigranen Visionen einfach nur abgemalt, ist umso erstaunlicher, als er zunächst gänzlich unbeleckt von künstlerischen Erfahrungen war. Sozusagen jungfräulich. Vom Himmel gefallen.
Doch eins nach dem anderen: Tauchen wir zunächst ein in ein typisches Luke-Brown-Bild, bevor wir die Quellen der Inspiration beleuchten.
Wer das Bild sieht, erkennt ihn sofort, den Pflanzengeist von Salvia divinorum.
Pflanzengeist? Klar, den gibt‘s. Von ihm hat man schon oft gehört. Doch hat ihn jemand gesehen? Und falls ja – wie sieht er aus? Luke Brown ist jemand, der ihn exakt beschreiben kann: den Pflanzengeist des aztekischen Wahrsagesalbeis Salvia divinorum. Wer das Bild sieht, erkennt ihn sofort. Zwinkernd blickt einen das Wesen mit seitlichen Insektenaugen an; nein, mit stechendem Blick aus darüber schwebenden gelben Augen, umgeben von Bäumen. Der Geist der Salvia divinorum schwebt genau vor uns. Seine zwei gespaltenen roten Zungen züngeln nach links und rechts und münden in die Mäuler von Reptilien. Und darunter pocht das Herz des Pflanzengeistes zwischen zwei Händen. Zwei menschlichen Händen. Und nun erkennen wir, dass wir selbst in diesem leuchtend rot-gelben Zentrum sitzen. Denn dort sitzt ein Mensch – wie du und ich.
Der Geist der Pflanze manifestiert sich in der zentralen Symmetrie, die unserer menschlichen Physiognomie entspricht. Unser Gehirn spricht unmittelbar darauf an. Im Gehirn ist der Code zur Erkennung von Gesichtern genetisch gespeichert. Zwei Augen links und rechts, dazwischen die Nase und darunter der Mund. Von diesem Ur-Schema hängt unser Überleben ab, um die Mutter zu erkennen, die uns nährt und schützt, und um Freund von Feind zu unterscheiden.
Luke Browns Pflanzengeist vernetzt Pflanze, Tier und Mensch. Sie alle interagieren miteinander und reagieren aufeinander. Der Geist der Salvia divinorum ist launisch und gefährlich. Er kann bedrohlich sein, aber auch Visionen der Geborgenheit im Kreis des Lebens schenken. Achtsamkeit ist angeraten. Dazu alarmieren die gelben Augen.
LSD als Initialzündung
Luke Brown, 1976 in der kanadischen Stadt London nahe Toronto geboren, ist Schöpfer vielschichtiger multidimensionaler und visionärer Bildwelten. Viele erkennen darin ihre eigenen psychonautischen Erfahrungen. Unsere Gespräche sowie unsere E-Mail-Korrespondenz erwiesen sich als Glücksfall. Meist hüllen sich Künstler zur Quelle ihrer Inspirationen in Schweigen, aus gutem Grund. Denn journalistische Kurzschlüsse wirken sich oft genug verheerend auf ihren Marktwert und ihre Existenz aus. Daher sind Luke Browns Einblicke nicht nur freimütig, sondern auch mutig.
Mit 17 katapultierte ihn LSD in eine dramatisch neue Umlaufbahn.
Die Eltern – ein kanadischer Folksänger und eine Fotografin – förderten seine künstlerische Entwicklung von klein auf. Punkrock, Hip-Hop und Skateboarding waren seine Welt. Er hatte lediglich Zeichnungen ins Notizbuch gekritzelt, aber niemals an ihre Vollendung oder Vervollkommnung gedacht. Dann, mit siebzehn, katapultierte ihn LSD in eine dramatisch neue Umlaufbahn.
«Diese Nacht stellte meine bisherige Identität mitsamt meiner Beziehungen zum Universum auf den Kopf und enthüllte mir, dass ich ein Künstler bin. Eine plastische Vision überflutete mich, öffnete schockartig mein drittes Auge und machte mir meine Lebensbestimmung bewusst. Zufällig hatte ich Malblock und Stifte dabei, und so bannte ich akribisch meine inneren Visionen aufs Papier. Mein Bruder und seine Freunde waren ziemlich verblüfft über das, was ich da ausschwitzte.»
Diese magische Initialzündung lenkte Luke Browns Leben in neue Bahnen. Allein, in nächtlichen Sitzungen, erkundete er die kreativen Impulse von LSD mit Stift, Farben und Papier. Er wechselte auf ein künstlerisch orientiertes College und nutzte das breite Angebot an künstlerischen Techniken. Zeichnen und Malen, Bildhauerei, Film und Goldschmiede. An der Kunstakademie in Toronto absolvierte er eine vierjährige Ausbildung. Seine College-Arbeiten stießen auch kommerziell auf Interesse: als Zeichnungen für Magazine, Illustrationen von Kinderbüchern und als CD-Cover. «Die Ästhetik der psychedelischen Erfahrung in jedes mögliche künstlerische Medium umzusetzen – das war mein Traum.»
Nach dem Abschluss der Kunstakademie ging Luke Brown bei einem Tattookünstler in die Lehre. Im Laufe der Jahre entwickelte er seinen eigenen unverwechselbaren und bei einer wachsenden Klientel begehrten Stil. Aber gleichzeitig begannen Schmerzen in Ellbogen und Handgelenk, die bald nicht mehr zu ignorieren waren; sie gefährdeten seine Berufung als Künstler und alles, was ihm lieb und teuer war. Eine in vielfacher Hinsicht schwierige und schmerzhafte Zeit, die ihm jedoch erneut eine tiefe psychedelische Erfahrung bescherte.
Dem Transformationserlebnis folgten weitere Wunder.
«Gab es eine Lösung? Welche Antwort hatte ich übersehen? Diese quälenden existentiellen Fragen beherrschten meinen Trip und konfrontierten mich mit allen erdenklichen Ängsten. Schließlich brach die Woge von Schrecken, Furcht und Schmerz über mir zusammen und ich konnte nur noch kapitulieren und mich vollständig ergeben. Und das – so kitschig es klingen mag – setzte einen tiefen spirituellen Befreiungsprozess in Gang. Ich fühlte, wie mir der Quell schöpferischer Inspiration und Kreativität alle Last von den Schultern nahm und mir die Hingabe an die bedingungslose Liebe zum Sein ermöglichte.»
Digitale Präzision
Kurz darauf deponierte ein Freund seinen Computer mitsamt Flachbildschirm und Photoshop-Bildbearbeitungssoftware in Lukes Wohnung. Damit fiel ihm quasi ein technisches Ufo in den Schoß, das die präzise digitale Umsetzung seiner Visionen ohne physische Strapazen ermöglichte. «Mit digitaler Präzision konnte ich Bilder realisieren, die mich mit herkömmlichen Mitteln Monate gekostet hätten.» So konnte er seine aus buddhistischen, hermetischen, kabbalistischen und magischen Quellen genährten Visionen überzeugend ins Bild setzen.
Dem Transformationserlebnis folgten weitere Wunder; etwa die Einladung im April 2003 nach Zürich, zur Jubiläums-Ausstellung von 60 Jahren LSD-Erfahrung, an der Seite von Künstlern wie Alex Grey, Robert Venosa und HR Giger, deren Werk und kollegiale Anerkennung ihm viel bedeutet. Diese Einladung ins Geburtsland des LSD, exakt zehn Jahre nach seiner ersten entscheidenden psychedelischen Erfahrung, war für den jungen Künstler eine kosmische Bestätigung. Ebenso das als Blotter-Print genutzte Luke-Brown-Motiv, das ein Fan Albert Hofmann bei der anschließenden Party überreichte.
«LSD war vermutlich der verlässlichste psychedelische Stimulus für meine Kreativität, den ich am besten nutzen konnte.» Luke Brown schätzt Peyote, Pilze, Ayahuasca wie auch LSD und DMT als Entheogene – mächtige Pflanzengeister und Wirkstoffe, die in uns göttlich kreative Kräfte entfalten können. Sie ebneten ihm als wahre Kunstlehrer seinen Weg.