Wie wirken psychedelische Substanzen? Phantastika, Eidetika, Psychotomimetika, Psychodysleptika, Halluzinogene, Psychoplastogene – die Vielzahl an Namen für die als Psychedelika bezeichneten Stoffe deutet bereits auf die schwere Fassbarkeit dieser Substanzklasse hin. Als einzige uns bekannte Stoffklasse wirken die Psychedelika nicht nur auf jeden Aspekt des menschlichen Bewusstseins ein, sondern regen darüber hinaus auch noch Nervenzellen zum Ausbilden neuer Verbindungen an (Lucys berichtete) und schützen Neurone vor Sauerstoffmangel (Lucys berichtete).
Psychedelika binden nach aktuellem Kenntnisstand vor allem an den Serotonin-2A-Rezeptor (5-HT2A-R), der in bestimmten Gehirnarealen vorkommt. Dies führt zu einer Verringerung der Filterfunktionen der sogenannten Ruhezustandsnetzwerke, so dass andere Hirnareale freier miteinander kommunizieren können. Diese Beobachtung bietet eine Erklärung für Synästhesien (Sinnesvermischungen) und Ich-Auflösungen, jedoch keine für die psychoplastogene Wirkung (die Anregung zur Ausbildung neuer neuronaler Verbindungen) oder die Schutzfunktionen gegenüber Sauerstoffmangel. Nun wurde eine wissenschaftliche Studie publiziert, die zeigt, dass Psychedelika im Gehirn noch deutlich mehr Effekte auslösen, als bisher bekannt war.
Eine niederländische Forschergruppe um Dr. Natascha Mason von der Maastricht Universität untersuchte nun die Veränderungen von Neurotransmitterkonzentrationen nach der Einnahme von Psilocybin im menschlichen Gehirnen. Dazu fanden sie 60 freiwillige Probanden, von denen jeweils 30 entweder eine moderate Dosis Psilocybin von 0,17 mg/kg Körpergewicht bzw. ein Placebo verabreicht bekamen. Ein- bis zwei Stunden nach der Einnahme der Substanzen wurden die Gehirne der Probanden mithilfe hochauflösender Magnetresonanztomographie (MRT) untersucht. Die Wissenschaftler suchten nach Veränderungen des körpereigenen Botenstoffs Glutamat in bestimmten Hirnarealen. Die Ergebnisse dieser Vermessung wurden zudem mit später ausgefüllten Fragebögen verglichen, in denen die Probanden ihre psychedelischen Erfahrungen beschrieben.
Die Ergebnisse waren komplex: Während sich die Glutamatkonzentration im präfrontalen Cortex, einer Region für höhere kognitive Leistungen und abstraktes Denken, erhöhte, erniedrigte sie sich im Hippocampus, einer Region für die Zusammenführung verschiedener Sinneseindrücke und zur Erstellung von Gedächtnisinhalten. Die Änderung der Glutamatwerte im präfrontalen Cortex korrelierte dabei signifikant mit eher negativen Erlebnissen, beispielsweise mit einem Gefühl von Kontrollverlust oder chaotischen Gedankenströmen. Die Verringerung des Glutamatspiegels im Hippocampus korrelierte wiederrum mit positiv erlebter Ich-Auflösung, sogenannter ozeanischer Selbstentgrenzung.
Die Wissenschaftler diskutieren zwei Hypothesen, was genau diese Veränderungen im Glutamatspiegel verursachen könnte. Zum einen könnten die über den 5-HT2A-Rezeptor stimulierten Neurone direkten Einfluss auf die Glutamatkonzentration haben. Alternativ könnten aber auch naheliegende inhibierende Neurone, welche den 5-HT1A-Rezeptor tragen, aktiviert werden und diese stellen daraufhin den Glutamatspiegel neu ein. Die grundsätzliche Bindungsaffinität des Psilocins (des psychoaktiven Metaboliten des Psilocybins) an den 5-HT1A-Rezeptor wurde in früheren Studien bereits belegt.
Die neuen Erkenntnisse zeigen auf, wie unvollständig das bisherige Verständnis psychedelischer Substanzen noch ist. Die Aktivierung des bekannten „Psychedelik-Rezeptors“ 5-HT2A alleine kann nicht alle Effekte der Psychedelika erklären. Diese Bindung scheint stattdessen nur der erste Anstoß an einer komplexen Kette von Aktionen und Reaktionen im menschlichen Gehirn zu sein, welche verschiedene lokale Ausschüttungen körpereigener Neurotransmitter beinhaltet.
Quelle: Mason, N.L., Kuypers, K.P.C., Müller, F. et al. (2020), Me, myself, bye: regional alterations in glutamate and the experience of ego dissolution with psilocybin, Neuropsychopharmacol. https://doi.org/10.1038/s41386-020-0718-8
Linus Naumann