Psychonautische Erlebnisqualitäten

Zur Beschreibung der Erlebniswelten in außer gewöhnlichen Bewusstseinszuständen hat sich die Einteilung der beobachteten Phänomene in drei Dimensionen eingebürgert. Die erste Dimension ist die ozeanische Selbstentgrenzung (OSE); sie beschreibt die angenehmen und beglückenden Aspekte wie die Erfahrung des Einsseins mit sich und der Welt. Die zweite Dimension beschreibt die angstvolle Ichauflösung (AIA), allgemein als Horrortrip oder Paranoia bezeichnet, und die dritte Dimension, die visionäre Umstrukturierung (VUS), beschreibt die vielschichtigen Einzelaspekte der Veränderungen im Bereich der Wahrnehmung. Diese drei Dimensionen können in Anlehnung an Aldous Huxley, den mit Psychedelika erfahrenen englischen Schriftsteller, als Himmel, Hölle und Vision interpretiert werden.

Die veränderte Wahrnehmungsstruktur ermöglicht eine neue Sichtweise der Welt.

In der OSE wird die Auflösung der Ich­Du-Grenze und der Ich­Welt­Grenze als beglückende Erfahrung des Einsseins mit sich und der Welt erlebt. So beschreibt Albert Hofmann die höchste Stufe des Sehens mit den Worten: «Die höchste Stufe des Sehens, die Beziehung ganz allgemein zu einem Objekt und zur Außenwelt überhaupt, ist dann erreicht, wenn die Grenze zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Betrachter und Betrachtetem, zwischen mir und der Außenwelt, bewusstseinsmäßig aufgehoben ist, wenn ich mit der Welt und ihrem geistigen Urgrund eins geworden bin. Das ist der Zustand der Liebe.»

Die Fähigkeit, sich und andere zu akzeptieren, steigert die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer OSE. Die Gewohnheit, Bedürfnisse anderer anzuerkennen und dabei jedem Zwang zum Konformismus wie auch jedem Drang zum Opportunismus zu widerstehen, erhöht die Wahrscheinlichkeit, die OSE mit Freude und Glück zu erleben.

In der AIA wird das Verschwinden der Ich­Du­Grenze und der Ich­Welt­Grenze als lebensbedrohliche völlige Bezugslosigeit zu sich selbst und der Welt erlebt. Der Verlust der Fähigkeit, sich selbst als Wesensidentität in der Welt zu definieren, kann panikartige Angstzustände hervorrufen, die jegliches Handeln unter dem Gesichtspunkt der Vernunft verunmöglichen. Damit gehen auch die sonst verfügbaren Fähigkeiten zur Selbstkontrolle, zur Realitätskontrolle und zur Urteilsfähigkeit verloren.

Emotionale Labilität sowie starre Konventionalität, das heißt die Abneigung gegen Ungewisses und Ungewohntes und ein starres Festhalten an Normen und Verpflichtungen, erhöhen die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer AIA. Der Grad der geistigen Starrheit und Steifheit (Rigidität) eines Menschen ermöglicht es, mit recht hoher Wahrscheinlichkeit eine Aussage zu treffen, ob jemand in einer bestimmten Situation Angstzustände und einen Horrortrip durchleben muss oder nicht. Je rigider jemand ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Horrorvisionen.

Die VUS ist die vielschichtigste Dimension im Rahmen außergewöhnlicher Bewusstseinszustände. Die veränderte Wahrnehmungsstruktur im optischen, akustischen und sensorischen Bereich ermöglicht eine völlig neue Sichtweise der Welt. Man sieht nicht nur wie gewöhnlich das äußere Erscheinungsbild der Dinge, sondern kann durch die Fassade oder hinter die Kulisse dieses äußeren Erscheinungsbildes schauen und etwas vom Wesen der betrachteten Dinge erkennen. Ein starker Bezug zur Ästhetik – das heißt eine stark ausgeprägte bildhafte Vorstellungskraft im Zustand des normalen Wachbewusstseins und eine hohe Empfindungsfähigkeit für das sinnlich wahrnehmbare Schöne – fördert die Erlebnisqualität in der VUS.

Hans Cousto ist Sachbuchautor, Musikwissenschaftler und Mitbegründer von Eve&Rave Berlin.