Von Pilzen und vom Bruttonationalglück

Am Anfang waren es die Pilze, die unsere Evolution positiv beeinflussten: Laut einer These Terence McKennas nahmen Jäger und Sammler durch Zufall minimale Pilzdosierungen ein, die ihre Sicht schärften, und waren dadurch im Vorteil gegenüber Nicht-«Bepilzten».

Pilze sind Metaphern für die menschliche Evolution.

Pilze sind Metaphern für die menschliche Evolution.
Xochipilli, der visionär entrückte Pilzgott der Azteken. Foto: Antony Stanley

In einer nächsten Phase wurden Pilze als Stimulanzien und Aphrodisiaka benutzt. Auch das brachte einen evolutionären Vorteil: Die Fungi-Esser vermehrten sich schneller, die Kopulation war mit mehr Vergnügen verbunden – und was Spaß machte, wiederholten Herr und Frau Neandertaler gerne. Als dann der Pilzgott entdeckt wurde und mit ihm die Bewusstseinserweiterung, bedeutete dies erneut einen Vorteil für diejenigen, die den Pilzkult praktizierten, in erster Linie indigene Völker und deren Schamanen.

Nicht nur Pilze sind traditionell als Heilmittel für Körper, Geist und Seele verwendet worden und haben die menschliche Evolution positiv beeinflusst. Potente Entheogene wie Ayahuasca, Iboga, San-Pedro- und Peyote-Kakteen begleiten die Menschheit ebenfalls seit Urzeiten. Das Wissen um die Heilkraft dieser Medizinen hat jahrtausendealte Tradition, wurde weltweit erforscht und erfolgreich angewendet; trotzdem sind sie noch immer kriminalisiert. Das ist bittere Realität – und ein Abbild unserer kranken Welt, in der die Menschen ausbeuterisch, ohne Bezug zur Natur und in Disharmonie mit sich selbst und ihren Mitgeschöpfen in einer Tunnelrealität voller Ängste leben. Eine Welt, die bewusstseinserweiternde Substanzen verbietet, kann nicht anders aussehen, als sie sich heute präsentiert.

Ich halte es für eine Illusion, dass wir nur durch psychoaktive Substanzen bessere Menschen werden. Auch durch den Konsum von literweise Ayahuasca, ganzen LSD-Bögen und haufenweise Pillen entstehen nicht einfach so «gute Menschen» mit erweitertem Bewusstsein. Zynisch ausgedrückt: Wo nichts ist, kann sich auch nichts entwickeln. Theorien über Respekt, Bewusstsein und Verantwortung allein bringen nichts – entscheidend ist ihre praktische Realisierung im Alltag: Auf tiefgreifende Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen sollte die Integration und Umsetzung im täglichen Leben folgen. Solange die Menschen Bewusstseinserweiterung mit Ego-Erweiterung verwechseln, Neid und Gier auf Kosten der Mitwelt dominieren und die Steigerung des Bruttonationaleinkommens (BNE) wichtiger ist als die Steigerung des Bruttonationalglücks (BNG), kommen wir einer besseren, lebenswerteren Welt nicht näher.

Pilze sind Metaphern für die menschliche Evolution: Zerstörerische Atompilze verkörpern eine verfehlte Weltpolitik. Pilzmyzelartige Verbindungen sind dagegen ein Sinnbild dafür, wie psychonautisch inspirierte Menschen sich global für eine bessere Welt einsetzen können. Sehr viele engagierte Initiativen, die «wie Pilze aus dem Boden schießen», bieten die Möglichkeit, sich sinnvoll zu engagieren. Vielleicht hatte ja Terence McKenna nicht unrecht: Die zähen Pilzsporen sind als kosmische Flaschenpost auf unserem Planeten gelandet – und haben durch ihre psychoaktive Wirkung die Evolution des Menschen erst in Gang gebracht.

Roger Liggenstorfer, Herausgeber