Coca und Tabak im alten Ägypten?

Rückstände von Coca- und Tabakgebrauch in ägyptischen Mumien werfen fragen auf

Links: Nicotiana tabacum CC-BY-SA M. Hagenlocher | Mitte: Ägypt. Totenbuch (gemeinfrei) | Rechts: Coca-Strauch (Erythroxylum coca) CC-BY-SA H.Zell

Von Zeit zu Zeit geistert die Meldung von altägyptischen „Kokain-Mumien“ durch das Internet. Im Jahr 1996 erschien diesbezüglich sogar eine Mystery-Dokumentation, die nun auch im Internet zu finden ist.

Interessant ist diese Meldung nicht nur für Laien-Archäologen, sondern auch für alle, die sich intensiv mit Ethnobotanik beschäftigen. Denn Coca (Erythroxylum coca) und Tabak (Nicotiana tabacum & Nicotiana rustica) sind zwei Nutzpflanzen der „Neuen Welt“, die nach gängiger Lehrmeinung in Europa nicht vor dem 16. Jahrhundert genutzt wurden.

An dieser Stelle sorgt die Forschungsarbeit der deutschen Toxikologin Svetlana Balabanova für einige Irritationen. In einem bereits 1992 veröffentlichen Paper mit dem Namen „First identification of drugs in Egyptian mummies“ (zu Deutsch: Erste Feststellung von Drogen in ägyptischen Mumien), untersuchte sie neun verschiedene Mumien auf Rückstände von psychoaktiven Substanzen. Die älteste Mumie stammte aus dem Jahr 1070 v.u.Z., die jüngste aus 395 u.Z. (vgl. Balabanova et al. 1992: 358).

Die Ergebnisse waren bahnbrechend: In Haar-, Gewebe- und Knochenproben wurden deutliche Hinweise für Coca-, Tabak- und Haschischgebrauch gefunden (ebd.: 358). Demnach wurde – neben dem anachronistischen Drogengebrauch – gezeigt, dass Abbauprodukte unter günstigen Bedingungen offenbar auch nach 3000 Jahren noch nachgewiesen werden können.

Der Aufschrei der wissenschaftlichen Community ließ nicht lange auf sich warten. Im Folgejahr wurden im Journal „Naturwissenschaften“ einige Stellungnahmen von Balabanovas Fachkollegen abgedruckt (vgl. Hertting et al. 1993). Deren Kritik lässt sich in folgenden Punkten subsumieren:

  1. Erythroxylum coca und Nicotiana rustica bzw. N. tabacum waren zu dieser Zeit nicht verfügbar, demnach können die Ergebnisse nicht richtig sein (vgl. Hertting et al. 1993: 245).
  2. Die Mumien wurden nachträglich mit Kokain- und Nikotinrückständen kontaminiert (vgl. Hertting et al. 1993: 245).
  3. Die Mumien müssen gefälscht sein. Es handelt sich bei den untersuchten Exemplaren um Drogenkonsumierende, die in der Neuzeit mumifiziert wurden, um sie gewinnbringend zu veräußern (vgl. Hertting et al. 1993: 243).
  4. Bestimmte, nicht näher spezifizierte Einbalsamierungssubstanzen erzeugten ein falsch-positives Ergebnis auf den Drogentest (vgl. Hertting et al. 1993: 243-244) oder die Ergebnisse der Analyse wurden generell falsch interpretiert.

Zu 1) Die Fürsprecher vom altägyptischen Coca- und Tabakgebrauch sehen in Balabanovas Ergebnissen einen Beweis für einen Kontakt zwischen den Altägyptern und Prä-Kolumbianischen Kulturen. Die Autorin beteiligt sich jedoch nicht an diesen Spekulationen, sondern diskutiert in einem Interview (Edlin 2014) eine alternative Theorie:

Entweder verwendeten die Altägypter mittlerweile ausgestorbene Pflanzen, die einen signifikanten Wirkstoffgehalt aufwiesen oder sie fanden Wege, die Wirkstoffe aus verfügbaren Pflanzen so zu konzentrieren, dass ihr Wirkpotenzial nutzbar wurde.

Tatsächlich existieren auf dem afrikanischen Kontinent diverse Erythroxylum-Subspezies, von der einige Exemplare eventuell nutzbare Mengen Kokain aufweisen (vgl. auch: Bieri et al. 2006).

Zu 2) Zwar gibt es einige essbare Kulturpflanzen, die einen gewissen Nikotingehalt aufweisen (vgl. Domino et al. 1993) – der Gehalt der in den Mumien gemessenen Abbauprodukte war jedoch so hoch (vgl. Balabanova et al. 1992), dass ein zielgerichteter Tabakkonsum logischer erscheint.

David J. Counsell (vgl. 2008: 211) weist in „Intoxicants in ancient Egypt? Opium, nymphaea, coca and tobacco“ darauf hin, dass das Rauchen von Tabak bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts sowohl in Museen als auch anderen Lagerstätten erlaubt und durchaus üblich war. Daraus folgert er, dass jahrzentelanger Tabakrauch sich auf die Mumien niederschlug. Parsche und Nerlich (vgl. 1995: 384) jedoch betonen, dass die gefundenen Metabolite eher für direkten Konsum als für eine nachträgliche Kontamination sprechen.

Zu 3) Schon seit dem ausgehenden Mittelalter und bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts galten pulverisierte Mumienteile unter dem Namen „Mumia vera aegyptiaca“ als Wunderheilmittel. Es kam zu einem regen Handel mit Mumienteilen, sodass mitunter auch gefälschte Exemplare nach Europa verkauft wurden (vgl. Geßler-Löhr 1995: 106).

Die darauf mögliche Vorstellung, dass diverse unglückliche Kokainnutzer nach ihrer Lebzeit zu unfreiwilligen mumifizerten „Pharaonen“ verarbeitet und vermarktet wurden, ist zwar äußerst makaber, aber erscheint durchaus denkbar.

Dagegen spricht jeodoch mindenstens eine Analyse von Parsche und Nerlich (vgl. 1995: 380), in welcher das Alter der verwendeten Mumie mittels C14-Methode auf 950 u.Z. datiert werden konnte.

Allerdings wurden Mumien oft zunächst durch reiche europäische Interessenten, wie Adlige, als Kuriositäten erworben und erst danach an Museen weitergegeben. Es ist nicht unmöglich, dass die Exemplare während dieser Zeit mit Kokain kontaminiert wurden. Ob und wie diese Kontaminationen bis in die Knochen der Mumien vordringen kann, bleibt vorerst fraglich.

Zu 4) Die Ergebnisse von Balabanova und Parsche/Nerlich konnten an anderen Mumien nicht verifiziert werden. Offenbar wurden die besagten Mumien nicht von weiteren Wissenschaftlerinnen untersucht. Außerdem scheinen die oben genannten Analysen sehr geringe Werte von Kokainrückständen aufzuweisen (0,1 ng/mg) – vergleichbare Analysen mit peruvianischen Mumien ergaben Werte von 1,0 bis 28,9 ng/mg (vgl. Henderson et al. 1992) sowie 1,4 bis 50,6 ng/mg (vgl. Möller et al. 1992).

Dies bietet – solange keine Eindeutigen weiteren Ergebnisse vorliegen – Indizien, die auf einen Messfehler bzw. auf ein falsches positives Ergebnis hindeuten (siehe auch: Counsell 2008: 214).

Fazit:

Nach Betrachtung der oben aufgeführten Argumente scheint es sehr fraglich, ob die alten Ägypter Handelsbeziehungen mit präkolumbianischen Zivilisationen pflegten und von dort Coca-Blätter und Tabak importierten.

Ohnehin bliebe unter anderem die Frage offen, warum in diesem Fall nur Tabak und Kokain ihren Weg nach Ägypten fanden – jedoch keine anderen Nutzpflanzen. Ebenso fanden sich bisher keine weiteren Relikte, die auf Kontakte zwischen dem alten Ägypten und südamerikanischen Zivilisationen hinweisen.

Doch gänzlich auszuschließen ist diese Theorie nicht, so zeigen sich immer wieder Hinweise auf Seefahrer, die vor Kolumbus die Amerikas besegelten. Der Experimentalarchäologe Thor Heyerdahl konnte Anfang der 1970er Jahre sogar beweisen, dass ägyptische Papyrusboote dazu in der Lage sind, den Atlantik zu überqueren.

Eine abschließende Antwort lässt sich in Ermangelung verlässlicher wissenschaftlicher Daten bisher nicht geben, sicherlich ist jedoch auch die Ethnobotanik des alten Ägypten noch nicht vollständig erforscht, sodass Skeptiker vor Überraschungen dennoch nicht gefeit sind.

 

Dirk Netter

 

Bibliografie:

Balabanova, S., Parsche, S., Pirsig, W., 1992. First identification of drugs in Egyptian mummies. Naturwissenschaften 79, 358–358. https://doi.org/10.1007/BF01140178

Bieri, S., Brachet, A., Veuthey, J.-L., Christen, P., 2006. Cocaine distribution in wild Erythroxylum species. J. Ethnopharmacol. 103, 439–447. https://doi.org/10.1016/j.jep.2005.08.021

Counsell, D.J., 2008. Intoxicants in ancient Egypt? opium, nymphea, coca and tobacco, in: David, R. (Ed.), Egyptian Mummies and Modern Science. Cambridge University Press, Cambridge, pp. 195–215. https://doi.org/10.1017/CBO9780511499654.014

Domino, E.F., Hornbach, E., Demana, T., 1993. The Nicotine Content of Common Vegetables. N. Engl. J. Med. 329, 437–437. https://doi.org/10.1056/NEJM199308053290619

Edlin, D., 2014. A look at the Evidence for Cocaine in Mummies [WWW Document]. URL https://web.archive.org/web/20140821182342/http://www.hallofmaat.com/modules.php?name=Articles&file=article&sid=45 (accessed 2.6.20).

Geßler-Löhr, B., 1995. Mumia vera aegyptiaca im Abendland 2.

Henderson, G.L., Harkey, M.R., Zhou, C., Jones, R.T., 1992. Cocaine and Metabolite Concentrations in the Hair of South American Coca Chewers. J. Anal. Toxicol. 16, 199–201. https://doi.org/10.1093/jat/16.3.199

Hertting, G., McIntosh, N.D.P., Parsche, F., 1993. Responding To: First identification of drugs in Egyptian mummies. Naturwissenschaften 80, 243–246. https://doi.org/10.1007/BF01135905

Möller, M.R., Fey, P., Rimbach, S., 1992. Identification and Quantitation of Cocaine and Its Metabolites, Benzoylecgonine and Ecgonine Methyl Ester, in Hair of Bolivian Coca Chewers by Gas Chromatography/Mass Spectrometry. J. Anal. Toxicol. 16, 291–296. https://doi.org/10.1093/jat/16.5.291

Parsche, F., Nerlich, A., 1995. Presence of drugs in different tissues of an egyptian mummy. Fresenius J. Anal. Chem. 352, 380–384. https://doi.org/10.1007/BF00322236