Meine Begegnung mit María Sabina

XtraAlbert Hofmanns Treffen mit der Curandera

Text: Albert Hofmann

Wenn man sich in die Lebensgeschichte der indianischen Schamanin oder curandera (»Heilerin«) María Sabina vertieft, die im vorliegenden Buch* lebendig dargestellt ist, wird man in eine fremdartige Welt, in eine abgelegene Gegend in den südlichen Bergen Mexikos, versetzt, die von der Wirklichkeit, in der wir Menschen in der europäischen Industriegesellschaft leben, zutiefst verschieden ist. Es sind ganz andere soziale Verhältnisse, eine andere Glaubens- und Gedankenwelt, andere Wertmaßstäbe, die das Leben dieser einfachen Indianerfrau bestimmt haben. Schon als Kind mußte sie körperlich hart arbeiten, um überleben zu können; sie hat nie eine Schule besucht und konnte daher weder lesen noch schreiben.

Als kleines Mädchen aß sie, innerer Eingebung folgend, die »heiligen Pilze«, die schon ihre Vorfahren um Rat angefragt und um Hilfe gebeten hatten. So wuchs sie in das Amt einer »weisen Frau«, einer Medizinfrau und Priesterin im altindianischen Pilzkult hinein, gelangte als solche bei ihren Landsleuten zu hohem Ansehen und wurde im Alter noch weit über die Landesgrenzen von Mexiko hinaus bekannt und berühmt. Bei aller Verschiedenheit und Fremdartigkeit des kulturellen Rahmens und im individuellen Lebenslauf der María Sabina entdeckt man bei ihr aber auch uns vertraute, offenbar allen Menschen gemeinsame Wesenszüge, ein Sehnen und Suchen nach einer besseren Welt. Die Fremdartigkeit auf der einen Seite und die Verbundenheit im gemeinsamen Menschlichen und auch Allzumenschlichen auf der anderen Seite machen die Lebensgeschichte dieser mexikanischen Schamanin zu einer spannenden, auch für uns geistig bereichernden Lektüre.

Die Verwendung von gewissen Pilzen im Rahmen von religiösen Zeremonien und magisch bestimmten Heilpraktiken bei den Indianern Mittelamerikas reicht weit in die präkolumbianische Zeit zurück. Hinweise dafür liefern sogenannte Pilzsteine, die in Guatemala, in El Salvador und in den anschließenden gebirgigen Gegenden Mexikos gefunden worden sind. Es handelt sich dabei um Steinplastiken von der Form eines Hutpilzes, in dessen Stiel das Antlitz oder die Gestalt eines Gottes oder tierartigen Dämons eingemeißelt ist. Die meisten haben eine Größe von ungefähr 30 Zentimetern. Die ältesten Exemplare werden von den Archäologen bis in das 5. Jahrhundert v. Chr. zurückdatiert. Daraus kann man schließen, daß der Pilzkult, der magisch-medizinische und der religiös-zeremonielle Gebrauch der Zauberpilze, über zweitausend Jahre alt ist.

Alle die ungezählten Vorgänger und Vorgängerinnen von María Sabina im Amt des Pilzkultes sind unbekannt geblieben. In den Chroniken der spanischen Mönche und Naturalisten aus dem 16. Jahrhundert, die bald nach der Eroberung von Mexiko durch Hernan Cortéz ins Land kamen, in denen man die ersten schriftlichen Angaben über den Gebrauch der »heiligen Pilze« findet, sind wohl einige Namen von Indianern, die solche Pilze verwendeten, angeführt. Sie werden im Zusammenhang mit Prozessen genannt, die gegen Personen, die dem Pilzkult huldigten, geführt wurden, denn die Verwendung der Zauberpilze wurde von den christlichen Missionaren als »Teufelswerk« verdammt und verfolgt. So wurde denn der den Indianern heilige Pilzkult in den Untergrund verdrängt, blieb aber dort, den Augen des weißen Mannes verborgen, im geheimen bis in unsere Tage erhalten. Erst in der Mitte unseres Jahrhunderts entdeckten amerikanische Forscher das geheime Weiterbestehen eines zeremoniellen Gebrauchs gewisser Pilze in den südlichen Bergen Mexikos.

Die umfassendsten Untersuchungen über den heutigen Gebrauch des teonanácatl, wie die aztekische Bezeichnung für die Zauberpilze lautet, die mit »göttlicher Pilz« übersetzt werden kann, verdankt man dem Forscherehepaar Dr. Valentina Pawlovna und R. Gordon Wasson. Es war nun die schicksalshafte Bestimmung von María Sabina, in den Blickpunkt dieser modernen ethnomykologischen Forschung zu geraten. Sie war es, die, aus was für Gründen auch immer, das Geheimnis um die heiligen Pilze lüftete, indem sie den Fremden Zutritt zu nächtlichen Pilzzeremonien gewährte. Aus ihrer Hand erhielten R. Gordon Wasson und sein Fotograf Alan Richardson in Huautla de Jiménez, einer Ortschaft in der mexikanischen Provinz Oaxaca, in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1955 im Rahmen einer solchen Zeremonie, sehr wahrscheinlich als erste Weiße, den heiligen Pilz zu essen. Durch die daraufhin folgenden Publikationen der Wassons in Büchern und Zeitschriften über die mexikanischen Zauberpilze wurde María Sabina weitherum berühmt.

Ich lernte diese außergewöhnliche Frau schon zu der Zeit persönlich kennen, als ihr Name noch nur einem kleinen Kreis bekannt war. Diese Bekanntschaft verdanke ich, wie so vieles andere, Erfreuliches und Unerfreuliches, letztendlich der Entdeckung von LSD, eines das Erleben der äußeren und inneren Welt zutiefst verändernden Wirkstoffes. Um das zu erklären, muß ich weiter ausholen und zuerst erzählen, wie ich als Chemiker in die Erforschung der mexikanischen Zauberpilze einbezogen wurde.

Nachdem die Wassons bei ihren völkerkundlichen, auf die Rolle und Bedeutung der Pilze in den verschiedenen Kulturen spezialisierten Studien auf den mexikanischen Pilzkult gestoßen waren und die magischen Wirkungen des teonanácatl an sich selbst hatten erfahren können, beschlossen sie, die Zauberpilze auch einer naturwissenschaftlichen Untersuchung zuzuführen. Zu diesem Zweck traten sie mit einem bekannten Pilzforscher, dem Mykologen Professor Roger Heim, Direktor des Muséum National d’Histoire Naturelle in Paris, in Verbindung. Heim begleitete die Wassons auf weiteren Expeditionen in das Mazatekenland und führte die botanische Bestimmung der heiligen Pilze durch. Er fand, daß es größtenteils noch nicht beschriebene Blätterpilze der Gattung Psilocybe waren. Heim ließ die Pilze in verschiedenen Laboratorien chemisch untersuchen. Nach dem es

nirgends gelungen war, das wirksame Prinzip zu isolieren, fragte er auch noch in den pharmazeutisch-chemischen Forschungslaboratorien der Sandoz in Basel an, ob wir Interesse hätten, die Untersuchungen fortzuführen. Er hoffte, daß in den Laboratorien, in denen ich das LSD entdeckt hatte, das ähnliche Wirkungen auf die menschliche Psyche entfaltet wie die Zauberpilze, dank der dort vorhandenen Erfahrungen mit dieser Art Wirkstoffe es doch noch gelingen könnte, das Problem zu lösen. Auf diese Weise zog das LSD die mexikanischen Zauberpilze in mein Laboratorium.

Lucys Xtra

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